Wasserrechtliches Gebot der Rücksichtnahme setzt individualisierte Betroffenheit voraus


Die Klägerin betreibt an einem Flusslauf eine Wasserkraftanlage (WKA F). Die Beigeladene ist rund 3,5 km flussaufwärts ebenfalls Betreiberin einer Wasserkraftanlage (WKA G), heißt es in dem Urteil zum Sachverhalt. Bereits 1960 war dem Rechtsvorgänger der Klägerin, einem Mühlenbetreiber, das Recht verliehen worden, das Wasser des Flusses zum Betrieb von zwei Turbinen für die Mahlmühle und zur Erzeugung elektrischen Stromes zu gebrauchen, das abgeleitete und gebrauchte Wasser wieder in den Fluss einzuleiten und das Wasser an der Ableitungsstelle mittels eines Stauwehres aufzustauen.


Ende 2003 erteilte die beklagte Wasserbehörde dem Mühlenbetreiber eine unbefristete wasserrechtliche Erlaubnis, das Wasser des Flusses mittels eines festen Wehres aufzustauen, um es zum Betrieb von Turbinen zu gebrauchen. Im Jahr 2007 erwarb die Klägerin das WKA F. und führte den Betrieb weiter.


Die von der Beigeladenen betriebene WKA G. ist bereits seit 1903 in Betrieb, der auf verschiedenen, dem jeweiligen Betreiber verliehenen Wasserrechten beruht. Im Jahr 1996 erwarb die Beigeladene das WKA G. und führte den Betrieb weiter. Nachdem die Bewilligung Ende 2007 ausgelaufen war, erteilte die Behörde der Beigeladenen für die WKA G. unter Verweis auf die bisherige Nutzung eine wiederum auf 30 Jahre befristete wasserrechtliche Bewilligung zum Ableiten und Gebrauch des Wassers.


Klägerin sieht ihren Betrieb negativ beeinflusst


Die Betreiberin der WKA F. erhob im Mai 2016 Klage gegen die Bewilligung. Ihr Betrieb durch den Betrieb der Beigeladenen an der WKA G. beeinflusst. Es seien erhebliche Leistungsänderungen dokumentiert worden.


Das Verwaltungsgericht Kassel hat die Klage abgewiesen. Aus dem wasserrechtlichen Gebot der Rücksichtnahme ergibt sich nach Auffassung des Gerichts keine Klagebefugnis der Wasserkraftwerks-Betreiberin. Dieses Gebot sei Anknüpfungspunkt für Drittschutz gegen alle Arten wasserrechtlicher Gestattungen.


Die Wasserbehörde müsse bei ihrer Ermessensentscheidung über einen Antrag auf Erteilung einer wasserrechtlichen Gestattung die Interessen Dritter, die von der angestrebten Gewässerbenutzung berührt werden berücksichtigen. Dies entspreche der Aufgabe der öffentlich-rechtlichen Gewässerbewirtschaftung, verschiedene, gegebenenfalls miteinander in Widerstreit stehende Interessen an einer Nutzung des Gewässers zum Wohl der Allgemeinheit und auch im Interesse Einzelner zu koordinieren und einen haushalterischen Umgang mit Wasser und Gewässern zu gewährleisten.


Individualisierte und qualifizierte Betroffenheit des Dritten muss gegeben sein


Der objektiven Pflicht, im Rahmen der die Zuteilung betreffenden Ermessensentscheidung auf die Belange Dritter Rücksicht zu nehmen, korrespondiere ein subjektiv-öffentliches Recht auf Rücksichtnahme allerdings erst, wenn ein Dritter  individualisiert und qualifiziert betroffen sei. Eine solche individualisierte und qualifizierte Betroffenheit des Dritten sei gegeben, wenn er zu einem von der Allgemeinheit abgrenzbaren Personenkreis zählt, und seine Belange durch die Gewässerbenutzung, für die die Gestattung begehrt wird, in gravierender Weise betroffen sein werden, heißt es in dem Urteil.


Gegenüber wasserrechtlichen Gestattungen ergibt sich sonach ein Abwehrrecht aus dem Gebot der Rücksichtnahme, wenn sich die erteilte Gestattung als Ermessensentscheidung im Hinblick auf Belange des Dritten nicht nur als objektiv defizitär, sondern darüber hinaus als rücksichtslos darstellt.


Entscheidung müsste gegenüber Klägerin rücksichtslos sein


Ein Anspruch auf eine Ermessensausübung, die auf ihre individualisiert betroffenen Belange Rücksicht nimmt, kann die Klägerin mangels Betroffenheit in dem behandelten Fall nach Auffassung des Verwaltungsgerichts Kassel aber nicht geltend machen.


Durch die mit dieser Bewilligung genehmigten Gewässerbenutzung müsste sich die Lage der Klägerin derart nachteilig verändert haben, dass sich die Entscheidung der Behörde über die Erteilung der Bewilligung als ihr gegenüber rücksichtslos darstellt. Dies ist hier aber nicht der Fall. Die Klägerin mache nicht hinreichend konkret und substantiiert geltend, durch die Gewässerbenutzung der Beigeladenen beeinträchtigt zu werden.


Außerdem stehe einer Klagebefugnis der Klägerin § 10 Abs. 2 WHG entgegen. Danach geben Erlaubnis und Bewilligung keinen Anspruch auf Zufluss von Wasser in einer bestimmten Menge und Beschaffenheit. Die Klägerin könne also nicht geltend machen, die Beigeladene dürfe das Wasser an ihrer Anlage nur in einer bestimmten Menge abfließen lassen. Der Inhaber einer Erlaubnis oder Bewilligung ist durch die Einschränkung des § 10 Abs. 2 WHG jedoch nicht schutzlos gestellt. Vielmehr kann er über das Einwendungsverfahren nach § 14 Abs. 3 und 4 WHG negative Einwirkungen geltend machen. Mangels Betroffenheit sei das der Klägerin aber verwehrt.


Wie das Gericht feststellt, steht der Klägerin eine Klagebefugnis nicht zu. Dem Urteil zufolge kann sie eine Klagebefugnis nicht aus einer Verletzung von § 11 Abs. 2 WHG herleiten. Danach kann die wasserrechtliche Bewilligung zwar nur in einem Verfahren erteilt werden, in dem die Betroffenen und beteiligten Behörden Einwendungen geltend machen können. Das sei hier unterblieben.


Paragraf 11 Abs. 2 WHG hat keinen drittschützenden Charakter


Der § 11 Abs. 2 WHG habe keinen drittschützenden Charakter, so dass die Klägerin, deren Klagerecht eine den Schutz eines Dritten bezweckende Rechtsvorschrift voraussetzt, sich nicht auf eine Verletzung dieser Verfahrensvorschrift stützen kann, stellt das Gericht fest. Es könne daher offenbleiben, ob die Klägerin überhaupt zu den Betroffenen im Sinne des § 11 Abs. 2 WHG zähle.


Eine Klagebefugnis ergibt sich für die Klägerin auch nicht aus einer Verletzung von § 14 Abs. 3 und 4 WHG, heißt es in dem Urteil weiter. Nach § 14 Abs. 3 Satz 1 WHG darf die wasserrechtliche Bewilligung im Fall der Erwartung nachteiliger Einwirkungen auf das Recht eines Einwendungen erhebenden Dritten nur erteilt werden, wenn nachteilige Einwirkungen durch Inhalts- oder Nebenbestimmungen vermieden oder ausgeglichen werden, führt das Gericht aus.


Sei dies nicht möglich, dürfe die Bewilligung trotzdem erteilt werden, wenn Gründe des Wohls der Allgemeinheit dies erforderten. Dies gelte entsprechend, wenn ein Dritter ohne Beeinträchtigung eines Rechts nachteilige Wirkungen dadurch zu erwarten habe, dass der Wasserabfluss, der Wasserstand oder die Wasserbeschaffenheit verändert, die bisherige Nutzung seines Grundstücks beeinträchtigt, seiner Wassergewinnungsanlage Wasser entzogen oder die ihm obliegende Gewässerunterhaltung erschwert wird.


Keine nachteiligen Einwirkungen zu erwarten


Diese Vorschrift hat dem Verwaltungsgericht zufolge zwar durchaus drittschützenden Charakter - die Klägerin habe aber keine nachteiligen Einwirkungen zu erwarten. Nachteilige Einwirkungen im Sinne des § 14 WHG sind nachteilige Veränderungen des tatsächlichen Zustands, die der Betroffene abzuwehren berechtigt ist, weil er die Aufrechterhaltung des bestehenden Zustands verlangen kann.


Solche tatsächlichen Veränderungen seien für das Gericht nicht ersichtlich, heißt es in dem Urteil. Die Klägerin mache keine Beeinträchtigung geltend, die unmittelbar aus der Benutzung des Gewässers durch die Beigeladene resultieren, heißt es dem Urteil. Auch lege die Klägerin nicht dar, inwiefern konkrete Ab- und Durchflussschwankungen eingetreten sind und inwiefern sich diese auf den Betrieb der Klägerin konkret ausgewirkt haben.