Berechnungen im Rahmen von bestandskundlichen Analysen weisen häufig systematische Fehler auf, teilte das IGB mit. Somit steige das Überfischungsrisiko. Insbesondere die großen Fische sollten verstärkt geschont werden.
Fast alle Berechnungen zur Einschätzung des Zustands genutzter Fischbestände basieren auf der Annahme, dass die Eizahl eines Fischweibchens direkt proportional mit ihrem Gewicht ansteigt (Isometrie), erklärte das IGB. Neue Studien hätten aber gezeigt, dass bei den meisten Fischarten große, schwerere Weibchen mehr Eier pro Körpermasse ablegen als jüngere, leichtere Weibchen. Die Eizahl steige also nicht gleichmäßig, sondern überproportional mit dem Gewicht an (Hyperallometrie). Sind unter den Laichfischen eines Bestandes alte, große Weibchen, würden mehr Eier produziert, als wenn die gleiche Gesamtbiomasse überwiegend aus jungen, kleinen Fischen besteht.
Die Forschenden aus Australien, den USA und Deutschland haben anhand von Modellrechnungen für 32 marine Fischarten untersucht, was passiert, wenn zwei der wichtigsten Bezugsgrößen für das Fischereimanagement entsprechend der neuen Erkenntnisse zum Zusammenhang von Eizahl und Fischgewicht angepasst werden. Das seien das Laichpotenzial eines befischten Bestands im Verhältnis zum Laichpotenzial eines unbefischten Bestands und der höchstmögliche Dauerertrag eines Fischbestands, so das IGB. Der maximale Dauerertrag beziffere die Menge Fisch, die auf lange Sicht einem Bestand entnommen werden kann. Sowohl das Laichpotenzial als auch der Dauerertrag würden weltweit genutzt, um Fangquoten festzulegen und Schutzprogramme umzusetzen.
Laich- oder Reproduktionspotenzial um bis zu 78 Prozent überschätzt
Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass im Durchschnitt das Laich- oder Reproduktionspotenzial der 32 analysierten Fischarten um 22 Prozent überschätzt wird, führte das IGB weiter aus. Die Werte schwankten allerdings von Art zu Art zwischen 3 und 78 Prozent, da die Hyperallometrie der Fruchtbarkeit bei den Arten unterschiedlich stark ausgeprägt sei.
Nimmt man bei der der Berechnung des Reproduktionspotenzials eines genutzten Fischbestands die falschen biologischen Zusammenhänge zu den Eizahlen je Fischgewicht an, so sind die erlaubten Fangquoten im Durchschnitt 2,7-fach zu hoch angesetzt, schlussfolgert das Institut aus den Ergebnissen der Studie. Auch bei der Berechnung des maximalen Dauerertrags führe die Annahme der falschen biologischen Zusammenhänge zur Ableitung von maximalen Fangquoten, die 1,2-fach höher liegen, als es für die Nachhaltigkeit sinnvoll wäre.
Auch der selektive Fang großer Fische kann die Bestände schwächen
Fast alle Fischbestände in den Meeren, Seen und Flüssen werden so bewirtschaftet, dass die größeren Fische selektiv gefangen werden und die kleinen Tiere überleben, damit sie mindestens einmal im Leben ablaichen können, berichtete das IGB weiter. Dieses Vorgehen beruhe auf der Annahme, die älteren und größeren Tiere würden wenig zur Erneuerung des Bestands beitragen und sogar Ertragspotenzial kosten, weil sie nicht mehr so schnell wachsen wie kleinere und jüngere Fische. „Diese bisher pauschal angewandte Managementpraxis und die dahinter liegenden biologischen Grundannahmen zur vermeintlich eingeschränkten Produktivität von großen Fischen sind angesichts unserer Ergebnisse überholt“, sagte Fischereiprofessor Robert Arlinghaus vom IGB und der HU Berlin, Mitautor der Studie. Im Gegenteil steige die Produktivität, die auch die Produktion von Eiern einschließt, mit der Fischgröße. „Entsprechend kann auch der selektive Fang der ganz großen Fische die Bestände schwächen“, gab er zu bedenken.
Maßnahmen, die zum Schutz der Großfische beitragen, können den Forschenden zufolge den Fischereiertrag fördern und dem Schutz der Fischbestände helfen – beispielsweise selektivere Fangmethoden, die neben den jungen auch die großen Fische schonen. In der Freizeitfischerei könnten Fangfenster die klassischen Mindestmaße ersetzen. Aber auch Schutzzonen oder Schonzeiten könnten sinnvoll sein. Die Autoren empfehlen, künftige Bestandsabschätzungen neu zu kalibrieren, um der besseren Vermehrungsfähigkeit größerer Fische Rechnung zu tragen.