Die Antragstellerin, eine Grundstückseigentümerin, wandte sich in dem behandelten Fall im Eilverfahren gegen die sofortige Vollziehung einer wasserrechtlichen Erlaubnis, die der beigeladenen Eigentümerin angrenzender Grundstücke im Zusammenhang mit dem geplanten Bau eines mehrstöckigen Hotelgebäudes erteilt worden war. Die Grundstücke liegen im dicht bebauten Zentrum im Stadtgebiet der Antragsgegnerin, so der VGH zum Sachverhalt.
Der Gebäudebestand auf den Gründstücken war zurückgebaut worden; erhalten blieben die wohl im Jahr 1971 errichteten Betonschlitzwände, die bis in den gering durchlässigen tertiären Boden hineinreichen und zur Herstellung einer dichten Baugrube verwendet werden sollen. Vorhandene Lücken zu den auf den Nachbargrundstücken im Jahr 1979 errichteten Schlitzwänden sollen mit Bohrpfahlwänden geschlossen werden, so dass ein gemeinsamer Baukörper entsteht, der den Grundwasserstrom über seine gesamte Breite beeinflusst.
Stadt erteilt beschränkte Erlaubnis
Mit einem Bescheid vom 10. Mai 2021 erteilte die Stadt der Nachbarin die beschränkte Erlaubnis nach dem Bayerischen Wassergesetz (BayWG), während der Bauzeit Grundwasser zu entnehmen, zutage zu fördern, zutage zuleiten und abzuleiten, aufzustauen, abzusenken und umzuleiten und Stoffe sowie Injektionen in den Untergrund einzubringen. Um einen Grundwasseraufstau durch das Bauvorhaben zu verringern, seien Grundwasserüberleitungen zu erstellen.
In dem Bescheid heißt es, dass der errechnete Aufstau aus wasserwirtschaftlicher Sicht zu keinen nachteiligen Beeinträchtigungen der benachbarten Anwesen führe. Der maximale Aufstau im Bereich der Straße liege bei circa elf Zentimetern.
Eigentümerin macht Verletzung des wasserrechtlichen Gebots der Rücksichtnahme geltend
Die Eigentümerin machte eine Verletzung des wasserrechtlichen Gebots der Rücksichtnahme geltend. Das Verwaltungsgericht München stellte mit einem Beschluss die aufschiebende Wirkung der Klage vom 27. Mai 2021 gegen den Bescheid wieder her (Aktenzeichen M 2 K 21.2865 vom 4.8.2021). Der Bescheid verletze die Antragstellerin voraussichtlich in ihren Rechten. Die Stadt habe bei ihrer Prognose nachteiliger Wirkungen auf ihr Grundstück die bisherige Aufstauung von elf Zentimetern durch die seit den 1970er Jahren vorhandene Betonschlitzwand ermessensfehlerhaft ausgeblendet, so das Verwaltungsgericht.
Deren baurechtliche und gegebenenfalls wasserrechtliche Genehmigung habe sich durch den Abriss der von ihr rechtlich nicht abtrennbaren Gebäude erledigt. Die Nachbarin sei deshalb so zu behandeln, als würde sie die Betonschlitzwand neu errichten. Gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts erhoben sowohl die Nachbarin als auch die Stadt Beschwerde.
Anspruch der Eigentümerin auf ermessensgerechte Beachtung ihrer Belange verletzt
Dem Beschluss des VGH Bayern zufolge hat das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung der Klage der Eigentümerin gegen den Bescheid der Stadt zu Recht wiederhergestellt. Die Entscheidung, der Beigeladenen für ihr Vorhaben eine beschränkte wasserrechtliche Erlaubnis zu erteilen, habe den Anspruch der Eigentümerin auf ermessensgerechte - d.h. insbesondere Rücksicht nehmende - Beachtung und Würdigung ihrer Belange verletzt, stellt der VGH fest. Auf die objektive Rechtmäßigkeit des Bescheids komme es dagegen nicht an.
Aus dem im Wasserhaushaltsgesetz (WHG) verankerten wasserrechtlichen Rücksichtnahmegebot folge, dass bei allen wasserrechtlichen Gestattungen im Rahmen der Ermessensbetätigung Belange Dritter einzubeziehen sind, deren rechtlich geschützte Interessen von der beantragten Gewässerbenutzung in individualisierter und qualifizierter Weise betroffen werden. Das gelte auch für die beschränkte Erlaubnis nach dem Bayerischen Wassergesetz (BayWG). Diesen Dritten stehe ein Anspruch auf ermessensgerechte - d.h. insbesondere Rücksicht nehmende - Beachtung und Würdigung ihrer Belange mit dem ihnen objektiv zustehenden Gewicht zu.
Abwägung der Belange leidet an Rechtsfehler
Die Abwägung der Belange der Antragstellerin durch die Stadt in dem angegriffenen Bescheid leide an einem Rechtsfehler, weil die Auswirkungen des Aufstaus von Grundwasser durch die seit 1971 auf den Grundstücken der Beigeladenen vorhandenen Schlitzwände, die in deren Neuvorhaben eingebunden sind, auf das Grundstück der Antragstellerin unzureichend berücksichtigt worden seien.
Der Bescheid enthalte keine Abwägung darüber, ob der Antragstellerin als Rücksichtnahmebegünstigter der Aufstau durch die Bestandschlitzwand von elf Zentimetern weiterhin zuzumuten ist, noch, ob es der Nachbarin als Rücksichtnahmeverpflichteter zuzumuten ist, Maßnahmen zur Verringerung des Aufstaus zu treffen.
Ob Grundwasseraufstau zumutbar ist, wird im Bescheid nicht erörtert
Das Verwaltungsgericht hat dem VGH zufolge zutreffend erkannt, dass die Antragsgegnerin bei der Abwägung der sich gegenüberstehenden Belange der Beteiligten pauschal unterstellt habe, dass der seit den 1970er Jahren andauernde, von der Bestandsschlitzwand ausgehende Aufstau von elf Zentimetern der Antragstellerin ohne Weiteres zuzumuten sei. Insbesondere fehle jede Auseinandersetzung mit der Frage, ob der bestehende Grundwasseraufstau von elf Zentimetern - auch im Hinblick auf das zwischen den Beteiligten streitige Ausmaß des Grundwasseranstiegs in den letzten Jahrzehnten - weiterhin zumutbar und damit erlaubnisfähig ist. Der Bescheid lässt dem VGH zufolge insoweit keine Abwägung der widerstreitenden Belange durch die Wasserrechtsbehörde erkennen, sondern erschöpfe sich in der Feststellung, dass „der errechnete Aufstau aus wasserwirtschaftlicher Sicht zu keinen nachteiligen Beeinträchtigungen der benachbarten Anwesen führt“.
Dass ein Grundwasseraufstau von elf Zentimetern aus wasserwirtschaftlicher Sicht objektiv hinnehmbar sein mag, könne die Abwägung schutzwürdiger nachbarlicher Belange nicht ersetzen, führt der VGH aus. Auch zu der Frage, ob es der Beigeladenen zumutbar ist, etwaige Maßnahmen zur Verringerung des Aufstaus zu treffen, enthalte der angegriffene Bescheid keinerlei Erwägungen.
Abwägung der Interessen nicht zu ersetzten
Die Argumentation der Stadt, dass ein Aufstau von elf Zentimetern aus wasserwirtschaftlicher Sicht hinnehmbar sei, könne die Abwägung der Interessen der Stadt als Vorhabenträgerin einerseits und der Nachbarn andererseits nicht ersetzen. Dies habe das Wasserwirtschaftsamt richtig erkannt und gegenüber der Stadt klargestellt, dass die Wasserrechtsbehörde zu prüfen hätte, ob „heute“ - d.h. anders als 1971 – eventuell Maßnahmen wie Grundwasserüberleitungen zu verlangen seien. Eine solche Abwägung der widerstreitenden Belange unter Erwägung von Maßnahmen zur Verringerung des bestehenden Grundwasseraufstaus findet sich aber in der Ergänzung von Ermessenserwägungen nicht, stellt der VGH fest.
Stadt spricht Eigentümerin schutzwürdige Position ab
Auch die Ermessenserwägung der Stadt, dass Schäden, die infolge eines Grundwasserhöchststands einträten, ein „Bauherrnrisiko“ seien und die Antragstellerin ihr Gebäude wasserdicht hätte bauen müssen, leidet dem VGH zufolge an Rechtsfehlern. Damit habe die Stadt der Eigentümerin eine abwägungserhebliche schutzwürdige Position abgesprochen. Allein die Tatsache, dass tiefer gelegene Kellerräume auch schon vor Erreichen des höchstmöglichen Grundwasserstands von 515,3 m ü. NN - unabhängig von der Schlitzwand - voller Wasser liefen, rechtfertige dies aber nicht, heißt es in dem Beschluss.
Interesse der Eigentümerin nicht erst ab höchstmöglichem Grundwasserstand schutzwürdig
Das Interesse der Eigentümerin, auf ihrem Grundstück keine künstlich erhöhten Grundwasserverhältnisse zu haben, sei nicht erst ab Erreichen eines höchstmöglichen Grundwasserstands schutzwürdig. Teile ihres Kellers bzw. der dortigen Anlagen liegen unterhalb des höchstmöglichen Grundwasserstands und laufen daher Gefahr, schon bei einem niedrigeren Grundwasserstand Schaden zu nehmen, stellt der VGH fest.
Soweit die Stadt der Eigentümerin ein „Bauherrnrisiko“ zuweisen will, führt dies dem VGH zufolge für die hier relevanten wasserrechtlichen Fragen nicht weiter. Andernfalls wäre es drittbetroffenen Grundeigentümern auch praktisch unmöglich, sich auf subjektiv-öffentliche Abwehrrechte gegenüber dem Aufstau oder der Umleitung von Grundwasser aus dem wasserrechtlichen Rücksichtnahmegebot zu berufen, heißt es in dem Beschluss.
Den Streitwert für das Beschwerdeverfahren hat der VGH auf 7.500 Euro festgesetzt.