Mit dem Lockdown im Frühjahr standen auch die Wasserversorger vor einer neuen Situation: Der Wasserverbrauch veränderte sich, sowohl in öffentlichen und betrieblichen Einrichtungen als auch im häuslichen Wohnraum. Für ihre Studie, die im Journal „Water“ in der Januarausgabe 2021 erschienen ist, haben die Mitarbeiter des ISOE tägliche und stündliche Wasserverbrauchsmengen in der ersten Welle der Corona-Pandemie untersucht. Ziel war es den Angaben zufolge, den Effekt der Lockdown-Maßnahmen auf den Wasserverbrauch wissenschaftlich fundiert zu analysieren und ihn in Abgrenzung zu anderen Einflüssen sichtbar zu machen. Hierfür werteten die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen Daten aus dem knapp tausend Quadratkilometer großen Versorgungsgebiet des Wasserbeschaffungsverbands WBV Harburg aus. In diesem Gebiet am Rande der Metropolregion Hamburg südlich der Elbe werden mehr als 180.000 Menschen mit Trinkwasser versorgt.
Um die Wirkung der sozioökonomischen und soziokulturellen Restriktionen in der ersten Welle der Pandemie auf den Wasserverbrauch erfassen zu können, bereinigten die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen die Verbrauchszahlen von anderen Effekten. Ein erhöhter Wasserkonsum infolge von Hitze etwa wurde mithilfe eines linearen gemischten Modells herausgerechnet.
Alltagsroutinen verstehen, um Versorgungssicherheit zu gewährleisten
Die veränderten Routinen während der ersten Welle der Corona-Pandemie machten sich laut ISOE vor allem am Morgen und am Abend bemerkbar. Veränderungen im Tagesverbrauch seien für Wasserversorgungsbetriebe nicht trivial, denn die Wasserunternehmen seien auf präzise Vorhersagen angewiesen. „Plötzliche Verhaltensänderungen der Verbraucher*innen können die Versorgungssicherheit der Wasserbetriebe gefährden. Deshalb ist es entscheidend, dass Alltagsroutinen von Verbraucher*innen besser verstanden und in den Wasserbedarfsprognosen berücksichtigt werden.“
Die ISOE-Wissenschaftler*innen gehen davon aus, dass bestimmte Bedarfsmuster, die auf die Verhaltensveränderungen während des ersten Lockdowns zurückzuführen sind, auch für künftige Wasserbedarfsrechnungen relevant bleiben werden. „Die Nachfragemuster über den Tag hinweg mit einer zeitlichen Verschiebung der Nachfragespitzen am Morgen und höheren Verbräuchen am Abend lassen auf neue Alltagspraktiken zum Beispiel im Bereich des mobilen Arbeitens schließen, die über die Pandemie hinaus beibehalten werden könnten“, so Lüdtke. Wasserversorger sollten sich deshalb mithilfe möglichst präziser Bedarfsprognosen auf Anpassungen an den Wasserverbrauch einstellen – wobei sich Anpassungen an den künftigen Verbrauch darüber hinaus auch durch sich verändernde Nutzungsmuster in den hochsommerlichen Dürrezeiten ergeben.
Wasserbedarfsprognosen gestalten sich immer schwieriger
„Eine realistische Planung des künftigen Wasserverbrauchs gestaltet sich immer schwieriger, weil sehr viele Einflüsse auf den Bedarf berücksichtigt werden müssen“, sagte Studien-Mitautor Stefan Liehr. Neben klimatischen Bedingungen seien auch demografische Entwicklungen entscheidend, ebenso wie Wirtschaftsstrukturen, die sich besonders in Krisenzeiten verändern. Dadurch kommt es immer auch zu räumlichen Bedarfsverschiebungen, etwa von Gewerbegebieten hin zu Wohngebieten. Für präzise Vorhersagen sei es darüber hinaus unerlässlich, die Gewohnheiten unterschiedlicher Nutzergruppen zu untersuchen. Je besser das Alltagsverhalten unterschiedlicher Nutzergruppen empirisch untersucht werde, umso besser sei vorherzusagen, welche Konsequenzen Veränderungen in den Alltagsroutinen für die Versorgungssicherheit haben können.