Wenn keine Überprüfung folge, erwäge er, der Kommission vorzuschlagen, den Fall vor den Europäischen Gerichtshof zu bringen und ein entsprechendes Zwangsgeld in die Wege zu leiten, kündigte der Kommissar an.
Die Bundesministerien für Umwelt (BMU) und für Landwirtschaft (BMEL) verwiesen am Dienstag vergangener Woche auf Anfrage auf die Zuständigkeit der Bundesländer. Diese seien in der Verantwortung, die mit Nitrat belasteten und durch Phosphat eutrophierten Gebiete auszuweisen, erklärte das Bundesagrarministerium. Aus beiden Häusern hieß es, dass man die Warnungen der Europäischen Kommission sehr ernst nehme und sich unter Beteiligung der Bundesländer um Gespräche mit Brüssel bemühe. Oberstes Gebot sei es, Strafzahlungen zu verhindern, hieß es aus dem Umweltministerium.
Bundesregierung möglicherweise dem EuGH-Urteil nicht nachgekommen
Die EU-Kommission geht dem Schreiben zufolge derzeit davon aus, dass die Bundesregierung möglicherweise dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 21. Juni 2018 nicht nachkomme. Der EuGH hatte 2018 festgestellt, dass die Bundesrepublik gegen die europäische Nitratrichtlinie verstoße und Maßnahmen gegen die Verunreinigung des Grundwassers angemahnt. Daraufhin trat in Deutschland zum 1. Mai 2020 eine neue Düngeverordnung (DüV) in Kraft, die Gegenmaßnahmen in Gebieten vorsieht, in denen die Nitratbelastung im Grundwasser hoch ist und Oberflächenwasser von Eutrophierung, also schädlicher Nährstoff-Anreicherung, betroffen ist. Für die Ausweisung dieser Gebiete sind die Bundesländer zuständig.
Gebiete mit hoher Nitratbelastung nicht korrekt erfasst
Eine erste Bewertung der EU von übermittelten Daten aus Deutschland habe ergeben, dass die meisten Messstellen, die eine hohe Umweltbelastung aufweisen, außerhalb der von den Bundesländern ausgewiesenen Gebiete lägen, heißt es in dem Schreiben. Die Kommission beklagt also, dass Gebiete mit hoher Nitratbelastung und einem entsprechend hohen Handlungsbedarf nicht korrekt erfasst und übermittelt werden.
Dem Schreiben des Kommissars zufolge haben die Bundesländer 80 Prozent der Überwachungsstellen mit Nitrat-Konzentrationen über dem erlaubten Grenzwert von 50 Milligramm pro Liter und 96 Prozent der als eutroph eingestuften Messstellen, also mit schädlicher Nährstoff-Anreicherung, nicht als Teil der belasteten Gebiete ausgewiesen.
Eine Reihe von Bundesländern - genannt werden Brandenburg, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein, Saarland und Sachsen - hätte gar keine eutrophen Gebiete angegeben, obwohl Anzeichen von Eutrophierung vorlägen, heißt es weiter.
VKU: Alle nitratbelasteten Messstellen müssen berücksichtigt werden
Die Wasserwirtschaft sieht sich in ihrer Kritik an der deutschen Nitratpolitik bestätigt. Karsten Specht, Vize-Präsident des Verbandes kommunaler Unternehmen (VKU), erklärte, „die unrühmliche Nitrat-Geschichte sei nun um ein weiteres Kapital verlängert worden“, weil es zum wiederholten Male nicht gelungen sei, Düngeregeln in Deutschland zu verabschieden, mit denen die EU-Nitratrichtlinie von 1991 auch endlich vollständig umgesetzt wird. „Für die kommunale Wasserwirtschaft und den Schutz der Wasserressourcen ist das nicht mehr erklärlich“, sagte Specht.
Die derzeit gültigen Bestimmungen legten zwar strenge Maßnahmen zur Nitratreduktion fest. Allerdings kämen diese nur auf sehr kleinen Flächen zur Anwendung und eben nicht in den weitaus größeren nitratbelasteten Gebieten. Aus Sicht des VKU müssen deswegen alle nitratbelasteten Messstellen berücksichtigt werden, insbesondere diejenigen, die sich in den Einzugsgebieten der Trinkwassergewinnung befinden. Nitratbelastete Messstellen dürften nicht einfach vorab aussortiert oder durch nicht überprüfte Modellierungen aus einer Gebietskulisse herausgerechnet werden. Die diesbezüglichen methodischen Schwächen müssten dringend nachgebessert werden. Geboten seien weitere Anstrengungen durch zielgerichtete Maßnahmen in den nitratbelasteten Gebieten.
Auch der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) forderte die Politik auf, die EU-Nitratrichtlinie „endlich vollumfänglich in Deutschland umzusetzen“. Der BDEW-Hauptgeschäftsführer für den Bereich Wasser/Abwasser, Martin Weyand, betonte, dass Deutschland Strafzahlungen „in dreistelliger Millionenhöhe“ drohten. Das aktuelle Gutachten im Auftrag des BDEW habe außerdem gezeigt, dass durch Überdüngung in der Landwirtschaft bereits jetzt jährlich Umweltkosten von rund drei Milliarden Euro entstünden.
Otte-Kinast: Niedersachsen blickt Überprüfung der roten Gebiete selbstbewusst entgegen
Die niedersächsische Agrarministerin Barbara Otte-Kinast (CDU) hat das niedersächsische Vorgehen verteidigt. Das Land habe mit enormem Einsatz und Fachkompetenz die Vorgaben der Düngeverordnung umgesetzt, sagte die Ministerin am Mittwoch vergangener Woche im Landtag in Hannover. Einer kritischen Überprüfung der Ausweisung der sogenannten roten Gebiete mit besonderen Düngebeschränkungen blicke das Land selbstbewusst entgegen. Man werde alles tun, um den Bedenken der Kommission Rechnung zu tragen und Schaden von der Landwirtschaft abzuwenden.
Grüne: Überdüngungsproblematik wird nicht angegangen
Die Grünen-Landtagsabgeordnete Staudte bemängelte, dass eine lückenlose Überwachung der Düngung in Niedersachsen nicht gewährleistet sei. „Die ganze Überdüngungsproblematik wird von Ihnen nicht angegangen.“ Die Nutztierstrategie beinhalte keinerlei Zielsetzung, die Tierbestände in Niedersachsen zu reduzieren. Einer kritischen Überprüfung der Ausweisung der sogenannten roten Gebiete mit besonderen Düngebeschränkungen blicke das Land selbstbewusst entgegen. Man werde alles tun, um den Bedenken der Kommission Rechnung zu tragen und Schaden von der Landwirtschaft abzuwenden.
Der FDP-Agrarexperte Hermann Grupe bezeichnete es im niedersächsischen Landtag als „handfesten Skandal“, dass die deutschen Behörden und die EU sich nach Jahren der Diskussion um den Grundwasserschutz offenbar noch nicht einig seien, worum es überhaupt geht. Wenn die Bauern deshalb nun die Leidtragenden seien, sei dies "eine Sauerei". Die Agrarministerin habe im Bundesländervergleich flächenmäßig die umfangreichsten Düngebeschränkungen verfügt und der Landwirtschaft damit geschadet. (EUWID/dpa)