UFZ: Umweltrisiken von Pflanzenschutzmitteln wegen Gewässerbelastung neu bewerten


Wie die Wissenschaftler in der Fachzeitschrift Water Research schreiben, könne der Verlust der Artenvielfalt nur gestoppt werden, wenn die Umweltrisikobewertung der Pestizide radikal reformiert wird. Pestizide, die  in der Landwirtschaft sichern, gelangen auch in benachbarte Bäche und schädigen dort die aquatischen Lebensgemeinschaften, die für den Erhalt der Artenvielfalt entscheidend sind, Teil des Nahrungsnetzes sind und die Selbstreinigung des Wassers unterstützen, führt das UFZ aus.


Erhebliche Überschreitungen des RAK-Werts festgestellt


Zwei Jahre lang haben die Forscherinnen und Forscher den Angaben zufolge die Pestizidbelastung an mehr als 100 Messstellen an Bächen untersucht, die durch überwiegend landwirtschaftlich genutzte Tieflandregionen in zwölf Bundesländern fließen. Sie stellten dort laut UFZ erhebliche Überschreitungen des RAK-Werts fest - die im behördlichen Zulassungsverfahren eines Pflanzenschutzmittels festgelegte Konzentration eines Wirkstoffs, die im Gewässer nicht überschritten werden darf, um negative Auswirkungen auf Gewässerorganismen zu verhindern. So seien die RAK-Werte in 81 Prozent der Gewässer überschritten worden. In 18 Prozent der Bäche wurden sogar für mehr als zehn Pestizide derartige Überschreitungen nachgewiesen.


„Wir haben bundesweit eine deutlich höhere Pestizidbelastung in den Kleingewässern nachgewiesen als wir das ursprünglich erwartet haben“, sagte Prof. Matthias Liess, Ökotoxikologe am UFZ und Koordinator des Projekts Kleingewässermonitoring. Zum Beispiel habe Thiacloprid, ein Insektizid aus der Klasse der Neonicotinoide, den RAK-Wert in drei Gewässern um mehr als das 100fache überschritten. Andere Insektizide wie Clothianidin, Methiocarb und Fipronil, aber auch Herbizide wie Terbuthylazin, Nicosulfuron und Lenacil toppten den RAK-Wert um den Faktor 10 bis 100 in 27 Gewässern, heißt es weiter.


Wirkung auf Wirbellose bereits in viel niedrigeren Konzentrationen


Aufgrund des umfangreichen Datensatzes hätten die Forscherinnen und Forscher nachweisen können, dass Pestizide auf Lebensgemeinschaften aquatischer Wirbelloser bereits in viel niedrigeren Konzentrationen wirken als bisher in der Pestizid-Zulassung angenommen. Ab welcher Konzentration das der Fall ist, hänge davon ab, welche Arten überleben sollen. Sollen in Kleingewässern beispielsweise empfindliche Insektenarten wie Köcherfliegen und Libellen geschützt werden, seien um den Faktor 1.000 niedrigere Grenzwerte notwendig als wenn eher unempfindliche Schnecken und Würmer erhalten werden sollen. Für empfindliche Insektenarten sei die Pestizidkonzentration in den kleinen Tieflandgewässern der wesentliche Faktor, der ihr Überleben bestimme. Andere Umweltprobleme wie Gewässerausbau, Sauerstoffmangel oder zu hoher Nährstoffgehalt spielten dagegen eine geringere Rolle.


Ergebnisse aus dem Labor spiegeln nicht die Realität wider


In der derzeitigen Zulassungspraxis von Pflanzenschutzmitteln wird nach Einschätzung der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die hohe Empfindlichkeit der Arten im Ökosystem unterschätzt. Denn bislang wird das ökologische Risiko von Pestiziden im Freiland auf Basis von Laborstudien, künstlichen Ökosystemen und Simulationsmodellen vorhergesagt. Die Ergebnisse aus dem Labor spiegelten aber laut Matthias Liess nicht die Realität wider: „Im Ökosystem wirken neben Pestiziden noch zahlreiche weitere Stressoren auf die Organismen, sodass diese auf Pestizide deutlich empfindlicher reagieren. Natürliche Stressoren wie der Räuberdruck oder die Konkurrenz der Arten würden im Zulassungsverfahren nicht ausreichend berücksichtigt. „Diese offensichtlichen Probleme fallen aber nicht auf, da sowohl die Menge des Pestizideintrags als auch ihre Wirkung weder in Deutschland noch in anderen Staaten in der Umwelt validiert werden“, sagte Liess.


Art der Probenahme von entscheidendem Einfluss auf die gemessenen Konzentrationen


Im Verlauf des Kleingewässermonitorings hat sich den Angaben zufolge  des Weiteren gezeigt, dass die Art der Probenahme entscheidenden Einfluss auf die gemessenen Konzentrationen der Pestizide habe. Sie hätten nicht nur die von der EU-Wasserrahmenrichtlinie als Standard vorgegebene Schöpfprobe genommen, sondern auch eine sogenannte Ereignisprobe, bei der ein automatisch gesteuerter Probenehmer nach einem Niederschlagsereignis Wasserproben aus dem Gewässer entnimmt. Die Ereignisprobe liefere wesentlich realistischere Ergebnisse, da die Pestizide insbesondere bei Niederschlägen durch den aufkommenden Oberflächenabfluss vom Acker in die Gewässer eingetragen würden. Die ereignisbezogenen Proben wiesen gegenüber den Schöpfproben eine 10-fach höhere Belastung auf. Um die Gewässerbelastung realistisch abzubilden, müssten Proben nach Regenfällen genommen werden.


Forderung nach regelmäßigem behördlichen Umweltmonitoring


Deshalb sei wir ein regelmäßiges behördliches Umweltmonitoring erforderlich, um die Menge und die Auswirkungen der Pestizide bewerten zu können, sagte Liess. Auch müssten neue wissenschaftliche Erkenntnisse schneller als bislang in den Zulassungsprozess neuer Pflanzenschutzmittel einfließen. „Dass heute noch Pestizide eingesetzt werden, deren Zulassung viele Jahre zurückliegt und damit oft auf einer überholten Risikobewertung beruht, muss sich schnellstens ändern. Nur so können wir die Artenvielfalt in unseren Gewässern erhalten und mit ihnen die Leistungen, die diese Lebensgemeinschaften für unsere Ökosysteme erbringen.“


Die vom Umweltbundesamt (UBA) beauftragte Pilotstudie „Kleingewässermonitoring“ (KgM) wurde den Angaben zufolge federführend vom UFZ-Department System-Ökotoxikologie durchgeführt und vom UFZ und dem UBA finanziert. Beteiligt haben sich daran elf UFZ-Departments, die Universität Koblenz-Landau, die Universität Duisburg-Essen, die Christian-Albrechts-Universität zu Kiel das UBA sowie die zwölf Umweltbehörden der beteiligten Bundesländer.


Regelungsbedarf im Wasserrecht zu Pestiziden sieht auch die vom UBA im Mai herausgegebene Studie „Regelungen zur Anwendung von Pestiziden in Schutzgebieten“ (EUWID 22.2021). Kritisiert wird dort unter anderem, dass fast alle Bundesländer gemäß § 2 Abs. 2 WHG etliche Kleingewässer wie Entwässerungsgräben, Straßenseitengräben oder Teiche vom Anwendungsbereich des Wasserrechts ausgenommen haben, obwohl diese Kleingewässer in größere Gewässer entwässerten. Auch sei der Eintrag von Pflanzenschutzmitteln in Gewässer nach vorherrschender Ansicht der Rechtsprechung keine erlaubnispflichtige Benutzung im Sinne des WHG, sofern dabei die Vorgaben des Pflanzenschutzrechts eingehalten werden, kritisiert die Studie.