In dem Verfahren, in dem es um eine mögliche Qualitätsverschlechterung des Grundwassers durch das Straßenbauprojekt Ortsumgehung Ummeln geht, hatte sich das Bundesverwaltungsgericht mit einem Vorabentscheidungsersuchen an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) gewandt, der daraufhin in einem Urteil entschied, dass auch Privatleute bei Planfeststellungen zu Großprojekten gegen die Verletzung der wasserrechtlichen Bewirtschaftungsziele der Wasserrahmenrichtlinie klagen können (Rechtssache C-535/18). Voraussetzung ist dem EuGH zufolge, dass die Bürger von der Verletzung unmittelbar betroffen sind.
Behörden müssen Vereinbarkeit mit Verschlechterungsverbot prüfen
Die zuständigen Behörden müssen nach dem Verschlechterungsverbot nach Art. 4 Abs. 1 der WRRL vor der Zulassung prüfen, ob das Projekt mit dem wasserrechtlichen Verschlechterungsverbot und Verbesserungsgebot in Einklang steht, heißt es in dem Urteil weiter. Die entsprechenden diesbezüglichen Angaben habe der Vorhabenträger der Planfeststellungsbehörde vorzulegen; sie müssten so beschaffen sein, dass die Auswirkungen des Projekts auf die Gewässer anhand der insbesondere in Art. 4 Abs. 1 WRRL vorgesehenen Kriterien und Pflichten geprüft werden können. Die Informationen sind der betroffenen Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
Eine vorhabenbedingte Verschlechterung des chemischen Zustands eines Grundwasserkörpers liegt dem Urteil zufolge sowohl dann vor, wenn mindestens eine der Qualitätsnormen oder einer der Schwellenwerte der Trinkwasser-Richtlinie überschritten wird, als auch dann, wenn sich die Konzentration eines Schadstoffs, dessen Schwellenwert bereits überschritten ist, voraussichtlich erhöhen wird. Die an jeder Überwachungsstelle gemessenen Werte seien individuell zu berücksichtigen.
Fehler in ergänzendem Verfahren zu beheben
Mit dem Urteil hat das Bundesverwaltungsgericht den Planfeststellungsbeschluss der Bezirksregierung Detmold aus dem September 2016 für den Neubau der A 33/B 61, Zubringer Ummeln, für rechtswidrig und nicht vollziehbar erklärt. Der planfestgestellte Abschnitt umfasst eine Länge von rund 3,7 km. Die geplante Trasse ersetzt die bisherige Ortsdurchfahrt Ummeln.
Die Fehler haben allerdings nicht die begehrte Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses zur Folge, denn sie betreffen dem BVerwG zufolge kein zwingendes Planungshindernis. Es bestehe die konkrete Möglichkeit, dass sie in einem ergänzenden Verfahren behoben werden können, ohne die Gesamtplanung infrage zu stellen. Bei dem bereits angekündigten ergänzenden Verfahren ist dem Urteil zufolge zu beachten sein, dass sich die festgestellten Verfahrensfehler nicht nur auf den wasserrechtlichen Fachbeitrag, sondern auch auf die wassertechnischen Unterlagen beziehen.
Erlaubnis zur Einleitung von Niederschlagswasser
Durch den Planfeststellungsbeschluss, gegen den sich die Kläger wandten, hatte der Projektträger die Erlaubnis erhalten, das auf den Straßenoberflächen anfallende Niederschlagswasser in drei Oberflächenwasserkörper bzw. in das Grundwasser einzuleiten. Insoweit enthielt der Beschluss sowohl hinsichtlich der Einleitung des Niederschlagswassers in die Oberflächengewässer als auch hinsichtlich seiner Versickerung in das Grundwasser zahlreiche Nebenbestimmungen, die den Gewässerschutz sicherstellen sollten.
Die Kläger sind den Angaben zufolge acht unmittelbar durch Grundstücksinanspruchnahmen und fünf mittelbar von der Planung Betroffene. Zwei Kläger sollten ihre bebauten Wohngrundstücke verlieren; zwei andere Enteignungsbetroffene machten Existenzgefährdungen geltend. Mit einer Ausnahme verfügen alle Kläger über einen genehmigten Trinkwasserbrunnen. Die nur mittelbar von der Planung Betroffenen machen Lärmbelastungen geltend und befürchten eine Verschlechterung der Wasserqualität ihrer Brunnen.
Verschlechterungsverbot bzw. Verbesserungsgebot zwingende Vorgaben
Dem Urteil zufolge leidet der Planfeststellungsbeschluss an Fehlern in Bezug auf das wasserrechtliche Verschlechterungsverbot bzw. Verbesserungsgebot, die als zwingende Vorgaben für die Zulassung von Vorhaben. Sie müssen deshalb bei der Zulassung eines Projekts - auch im Rahmen der Planfeststellung eines fernstraßenrechtlichen Vorhabens - strikt beachtet werden.
Der Europäische Gerichtshof habe mit seinem Urteil vom 28. Mai 2020 - C-535/18 – klargestellt (Rechtssache C-535/18; EUWID 24.2020), dass die WRRL nicht nur einen materiell-rechtlichen Prüfungsmaßstab enthält, sondern darüber hinaus auch Vorgaben für das behördliche Zulassungsverfahren. Danach seien die zuständigen Behörden verpflichtet, im Laufe des Genehmigungsverfahrens, und somit vor dem Erlass einer Entscheidung, zu prüfen, ob das Projekt negative Auswirkungen auf die Gewässer haben kann, die den Pflichten zuwiderliefen, die Verschlechterung des Zustands der Oberflächen- und Grundwasserkörper zu verhindern und diesen Zustand zu verbessern.
Die entsprechenden Angaben habe der Vorhabenträger der Planfeststellungsbehörde vorzulegen; sie müssten so beschaffen sein, dass die Auswirkungen des Projekts auf die Gewässer anhand der insbesondere in Art. 4 Abs. 1 WRRL vorgesehenen Kriterien und Pflichten geprüft werden könnten, heißt es in dem Urteil weiter. Die Informationen müssten dann der betroffenen Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Die Öffentlichkeit müsse anhand der ihr zugänglich gemachten Unterlagen einen Überblick über die Auswirkungen erhalten können; unvollständige Akten oder unzusammenhängend in einer Vielzahl von Dokumenten verstreute Angaben seien dafür ungeeignet.
Keine wasserkörperbezogene Prüfung durchgeführt
Diese Vorgaben sind in dem Fall dem BVerwG zufolge nicht beachtet worden, denn eine wasserkörperbezogene Prüfung sei vor dem Erlass des Planfeststellungsbeschlusses nicht durchgeführt worden. Dementsprechend war sei sie auch nicht Gegenstand der Öffentlichkeitsbeteiligung gewesen. Damit sei der Planfeststellungsbeschluss insoweit formell und - vorbehaltlich der Ergebnisse der Prüfung - materiell fehlerhaft.
Davon abgesehen habe der Europäische Gerichtshof nun mit Urteil C-535/18 den Bewertungsmaßstab für die Prüfung der Verschlechterung von Grundwasser präzisiert. Auch diese Vorgaben seien in dem beabsichtigten Fehlerheilungsverfahren zu beachten.
Danach ist Art. 4 Abs. 1 Buchst. b Nr. i der WRRL dahin auszulegen, dass von einer projektbedingten Verschlechterung des chemischen Zustands eines Grundwasserkörpers sowohl dann auszugehen ist, wenn mindestens eine der Qualitätsnormen oder einer der Schwellenwerte im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Trinkwasser-Richtlinie überschritten wird, als auch dann, wenn sich die Konzentration eines Schadstoffs, dessen Schwellenwert bereits überschritten ist, voraussichtlich erhöhen wird. Die an jeder Überwachungsstelle gemessenen Werte sind dabei individuell zu berücksichtigen, heißt es in dem Urteil.
Unmittelbare Betroffenheit als Voraussetzung
Auf einen Verstoß gegen das wasserrechtliche Verschlechterungsverbot bzw. Verbesserungsgebot können sich - neben Umweltverbänden, die hier aber nicht zu den Klägern zählen - auch „Mitglieder der von einem Projekt betroffenen Öffentlichkeit“ berufen, stellt das BVerwG fest. Der Europäische Gerichtshof habe nun klargestellt, dass es sich hierbei um eine unmittelbare Betroffenheit handeln muss – neben dem Urteil C-535/18 aus dem Mai 2020 nennt das BVerwG das Urteil aus dem Jahr 2019, in dem der EuGH für die Nitratrichtlinie festgestellt hatte, dass Personen, die unmittelbar von einer Verletzung der Nitratrichtlinie betroffen sind, die Einhaltung der entsprechenden Verpflichtungen bei den zuständigen nationalen Behörden einfordern können. (Rechtssache C-197/18; Urteil vom 03.10.2019).
Zur Grundwasserentnahme Berechtigter ist Betroffener
Um festzustellen, welche Personen von einer Verletzung der Pflichten aus dem Grundwasser-Verschlechterungsverbot unmittelbar betroffen sind, müssten die Zielsetzung der Richtlinie sowie der Gehalt der Bestimmung, um deren ordnungsgemäße Anwendung es geht, geprüft werden. Der mit der WRRL bezweckte „gute Zustand“ aller Oberflächengewässer und des gesamten Grundwassers soll dazu beitragen, eine ausreichende Versorgung mit Grundwasser guter Qualität zu gewährleisten, wie es für eine „nachhaltige, ausgewogene und gerechte Wassernutzung“ erforderlich ist; das Grundwasser soll „als Ressource für die menschliche Nutzung“ geschützt werden, unterstreicht das Bundesverwaltungsgericht.
Daher zählt zum Kreis der unmittelbar Betroffenen derjenige, der zur Grundwasserentnahme und -nutzung berechtigt ist. Dabei komme es angesichts der Vielfalt der Nutzungen von Grundwasser nicht darauf an, ob die Überschreitung nur einer der Qualitätsnormen bzw. nur eines der Schwellenwerte der Trinkwasser-Richtlinie für den Kläger gesundheitlich bedenklich.
Nutzer des öffentlichen Netzes nicht unmittelbar betroffen
Nicht unmittelbar betroffen ist demgegenüber derjenige, der lediglich das öffentliche Wasserversorgungsnetz nutzt, ohne über ein besonderes Entnahmerecht zu verfügen. Hier sei der Europäische Gerichtshof nicht der weitergehenden Auffassung des Generalanwalts in dessen Schlussanträgen gefolgt.
Damit könnten sich die Kläger, die genehmigte Trinkwasserbrunnen nutzen, auf das wasserrechtliche Verschlechterungsverbot berufen, da sie in räumlicher Nähe zur geplanten Trasse über einen eigenen genehmigten Trinkwasserbrunnen verfügen und damit „zur Grundwasserentnahme und -nutzung berechtigt“ sind, stellt das BVerwG fest.