Durchgängigkeit ist Mindestvoraussetzung für Gewässerbenutzung nach WHG


Wie der VGH ausführt, betreibt die klagende Energie Baden-Württemberg AG (EnBW) an der Aitrach, einem Nebenfluss der Iller, ein sogenanntes Ausleitungskraftwerk zur Stromproduktion für das öffentliche Netz. Dazu wird die Aitrach an dem Wehr bei Flusskilometer 4,6 aufgestaut, das Wasser über einen Kanal zu einer Stahlrohrleitung und über diese zur eigentlichen Wasserkraftanlage T 162 (WKA) mit 2 Francis-Turbinen (Schluckvermögen jeweils 3000 l/s) geführt und bei Flusskilometer 1,4 wieder in das Mutterbett der Aitrach eingeleitet.


In der Vergangenheit wurde lediglich eine Mindestwassermenge von 100 l/s über die Fischtreppe am Wehr in das Mutterbett der Aitrach, die sog. Ausleitungsstrecke, abgegeben. Rechtsgrundlage für den Betrieb der Wasserkraftanlage (WKA) ist ein so genanntes Altes Wasserrecht aus dem Jahre 1910 zum Betrieb einer Holzschleiferei und einer Zellulosefabrik.


Anfang der 1990er Jahre beklagte sich die Gemeinde Aitrach darüber, dass die Durchgängigkeit der Aitrach wegen der zu geringen Wassermenge für Fische und Gewässerorganismen nicht mehr gewährleistet sei. Ein Gutachten empfahl im Jahr 2004, eine Mindestwassermenge von 1.800 l/s in der Zeit von März bis Mai (Laichperiode Nase und Äsche) und von 1.350 l/s von Juni bis Februar.  Für die Verbesserung der fischökologischen Funktionalität des gesamten Aitrachsystems habe die Erhöhung der Mindestwassermenge in der Ausleitungsstrecke oberste Priorität. Ein strukturell bedeutender Teil des Aitrachsystems mit Anbindung an die Iller könnte so für die gesamte Fischfauna nutzbar gemacht werden. Die Gutachter kam zudem zu dem Ergebnis, dass die Fischaufstiegsanlage am Wehr nicht funktionstüchtig sei.


Landratsamt Ravensburg ordnet Mindestwassermenge an


Ende 2007 ordnete das Landratsamt Ravensburg gegenüber der Klägerin an, dass in der Ausleitungsstrecke, dem Mutterbett der Aitrach, in der Zeit vom 15. März bis zum 15. Juni eine Mindestwassermenge von 1.500 l/s und in der Zeit vom 16. Juni bis zum 14. März von 1.000 l/s zu belassen sei. Der jeweilige Mindestabfluss müsse die Durchgängigkeit der Aitrach im Mutterbett und des Wehrs mit der Fischaufstiegsanlage für die Bachforelle, Groppe, Äsche, Nase und Barbe gewährleisten.


Am Wehr sei eine funktionsfähige Fischaufstiegsanlage herzustellen, die dessen Durchgängigkeit für diese Fischarten sicherstelle. Die Pläne zur Umsetzung der angeordneten Maßnahmen seien innerhalb von drei Monaten nach Bestandskraft der unteren Wasserbehörde vorzulegen.


Regierungspräsidium Tübingen weist Widerspruch zurück            


Ende 2010 wies das Regierungspräsidium Tübingen den mit einem Gutachten begründeten Widerspruch des Unternehmens zurück. Das im Jahre 1910 einer Papierfabrik erteilte alte Wasserrecht sei zwar mit dem Erwerb des Eigentums auf die Klägerin übergegangen. Das stehe den getroffenen Anordnungen jedoch nicht entgegen, so das Regierungspräsidium. Nach dem WHG dürfe die Wasserbehörde auch bei alten Rechten nachträglich Maßnahmen anordnen, die zum Ausgleich einer auf die Benutzung zurückzuführenden nachteiligen Veränderung der Gewässereigenschaft erforderlich seien. Bei der Benutzung handle es sich hier um das Aufstauen und das Ableiten der Aitrach über den Triebwerkkanal.


Vorliegend weise das Mutterbett der Aitrach nicht mehr die nach dem WHG erforderliche Mindestwassermenge auf, und die Durchgängigkeit gemäß § 34 WHG sei nicht mehr gewährleistet. Temperaturveränderungen infolge der reduzierten Wassermenge beeinflussten die physikalische Beschaffenheit des Wassers negativ. Durch die zu geringe Wassermenge werde die Besiedelung des Gewässers mit Tieren und Pflanzen partiell zerstört oder erheblich reduziert und die Lebensgrundlage gewässertypischer Fische eingeschränkt, so die Behörde.


Der Anordnung des Landratsamts zur Errichtung einer funktionsfähigen Fischaufstiegsanlage stehe nicht entgegen, dass die vorhandene Fischtreppe erst im Jahr 2007 aufgrund der Verfügung des Landratsamts vom Juli 2006 saniert worden sei. Es habe sich dabei nur um übliche Reinigungs- und Unterhaltungsarbeiten gehandelt, die die Klägerin zur Wiederherstellung der Funktionsfähigkeit ohnehin hätte ausführen müssen.


Verringerung der Restwassermenge kann Gewässereigenschaften nachteilig verändern


Die dagegen gerichtete Klage wies das Verwaltungsgericht Sigmaringen im Wesentlichen zurück (Aktenzeichen: 1 K 3416/15 vom 29.11.2017). Auch der VGH Baden-Württemberg hat die Klage abgewiesen. Die Festsetzung der Mindestwassermenge sei rechtmäßig. Die Nutzung der Aitrach durch das Unternehmen habe nachteilige Veränderungen der Gewässereigenschaften im Sinne des WHG zur Folge. Das Aufstauen der Aitrach und das Ableiten des Wassers über den Triebwerkkanal führten dazu, dass weniger Wasser über das Mutterbett, die Ausleitungsstrecke, abfließt, stellt der VGH fest.


Diese Verringerung der Restwassermenge sei grundsätzlich dazu geeignet, die Gewässereigenschaften nachteilig zu verändern. Sie greife in die biozönotischen, insbesondere fischzönotischen Verhältnisse ein; die Fließgeschwindigkeit, die natürliche Strukturentwicklung und der Sauerstoffeintrag könnten nachteilig verändert werden. Die veränderte Abflussdynamik könne die hydromorphologischen Bedingungen für die Flora und Fauna verschlechtern. Niedrigwasser könne in physikalischer Hinsicht insbesondere zu Temperaturerhöhungen und zum Absinken der Fließgeschwindigkeit sowie der Sauerstoffsättigung führen, heißt es in dem Urteil.


Des Weiteren sei eine Beeinträchtigung der Gewässergüte zu besorgen, weil Schadstoffkonzentrationen infolge industrieller oder landwirtschaftlicher Einträge nur in vermindertem Maße durch natürliche Abflüsse verdünnt würden. Die Wasserentnahme am Oberlauf zu Turbinen einer Wasserkraftnutzung könne weiterhin ein Trockenfallen größerer Gewässerabschnitte am Unterlauf bewirken. Dies betriefe zum einen die natürlichen aquatischen Lebensräume für Flora und Fauna im Gewässer und Gewässerbett. Auch ein nachteiliger Eingriff in die vom Gewässer abhängigen Landökosysteme sei grundsätzlich möglich. Außerdem führen die verminderte Restwassermenge in der Ausleitungsstrecke und das Wehr zu einem Migrationshindernis für Wanderfischarten.


Nachteilige Veränderungen auf Wasserkraftnutzung zurückzuführen      

   

Im konkreten Fall seien solche nachteiligen Veränderungen der Gewässereigenschaften eingetreten. Diese seien entgegen der Auffassung der Klägerin auf die von ihr betriebene Wasserkraftnutzung und nicht auf den ökologisch ebenfalls problematischen Zustand der Aitrach stromaufwärts zurückzuführen, stellt der VGH fest. Die Durchgängigkeit der Aitrach sei in Folge des Betriebs der Wasserkraftanlage nicht gewährleistet. Das Lebensraumangebot für die Fischfauna der Aitrach reduziere sich infolge der zu geringen Abflussmenge erheblich.


Dass die Klägerin vorbringt, die Aitrach weise deutliche anthropogene Änderungen wie Begradigungen, Uferbefestigungen und Hochwasserschutz-Einrichtungen auf und sei an mehreren Stellen u.a. durch Querbauwerke völlig undurchgängig, ändert daran dem VGH zufolge nichts. Denn diese Veränderungen beeinträchtigten weder die Durchgängigkeit der Ausleitungsstrecke noch ihre Eignung als Habitat für die Fischfauna.


Argument des „Alten Wasserrechts“ hier unerheblich

              

Das Argument, dass der Klägerin ein altes Wasserrecht zusteht, ist dem VGH zufolge in diesem Zusammenhang unerheblich. Das Unternehmen macht geltend, das im Jahr 1910 einer Papierfabrik verliehene Recht, das Wasser der Aitrach aufzustauen und zum Betrieb einer Holzschleiferei und einer Zellulosefabrik zu benutzen, sei mit dem Erwerb der Anlage auf sie übergegangen. Schon aus diesem Recht ergebe sich die Befugnis, das Wehr und die WKA auch zur Stromerzeugung zum Zwecke der Einspeisung in das öffentliche Stromnetz zu nutzen.


Dem Urteil zufolge kommt es darauf aber im behandelten Fall nicht an. Denn nach dem § 15 WHG könne die Wasserbehörde auch bei alten Rechten Maßnahmen anordnen, die zum Ausgleich einer auf die Benutzung zurückzuführenden nachteiligen Veränderung der Gewässereigenschaften erforderlich sind.


Ein altes Wasserrecht könne durchaus als Eigentum im Sinne der Grundgesetztes geschützt sein. Seien die zu seiner Ausübung notwendigen Anlagen seit vielen Jahren in Betrieb und technisch veraltet, könne der Inhaber des alten Wasserrechts aber nicht mit dem Argument durchdringen, auf der Grundlage der festgesetzten Mindestwassermenge könnten diese nicht mehr wirtschaftlich betrieben werden. Das gelte insbesondere dann, wenn effizientere Techniken zur Verfügung stehen und der Inhaber des Wasserrechts mit nachträglichen Anordnungen rechnen musste, heißt es in dem Urteil.


Verbesserungsgebot verlangt Festsetzung der Mindestwassermenge


Des Weiteren betont der VGH, dass das Verbesserungsgebot die Festsetzung der konkreten Mindestwassermenge verlangt. Das Verbesserungsgebot entfalte im Rahmen der Erteilung einer wasserrechtlichen Genehmigung eine Sperrwirkung, wenn sich absehen lasse, dass die Verwirklichung eines Vorhabens die Möglichkeit ausschließt, die Umweltziele der Wasserrahmenrichtlinie fristgerecht zu erreichen. Die im Maßnahmenprogramm zum Bewirtschaftungsplan 2015 BG Donau, BW sind für den Flusswasserkörper Aitrach Maßnahmen zur Mindestwasserführung und zur Durchgängigkeit vorgesehen, ohne die getroffene Anordnung konterkariert würden, stellt der VGH fest.