In dem Fall stritten die Beteiligten dem VGH zufolge über die Frage, ob die am 12.12.2020 in Kraft getretene Neuregelung im § 20 Abs. 5 Satz 1 des Kommunalabgabengesetzes (KAG), die eine zeitliche Obergrenze für die Beitragsfestsetzung von zwanzig Jahren vorsieht, für den vorliegenden Fall Gültigkeit hat, in dem der Beitragsbescheid bereits vor Erlass der Neuregelung des KAG ergangen ist.
Der Kläger ist Eigentümer eines Grundstücks in der Stadt Aulendorf, für das die Anschlussmöglichkeit an die öffentliche Wasserversorgung im Juli 1995 entstand. Im November 2016 setzte die Stadt gegenüber dem Kläger für das Grundstück einen Wasserversorgungsbeitrag in Höhe von 2.847,40 Euro fest. Zur Begründung führte sie aus, sie verfüge mit dem Inkrafttreten der Satzung Anfang 2012 erstmals über eine rechtmäßige Wasserversorgungssatzung (WSV). Daher sei für die noch nicht zu einem Wasserversorgungsbeitrag veranlagten Grundstücke die Beitragspflicht entstanden.
Die Stadt vertritt die Auffassung, die Neuregelung des KAG gelte nicht für schon erlassene Beitragsbescheide, sondern nur für ab Inkrafttreten des Gesetzes zu erlassende Beitragsbescheide. Das Gesetz enthalte keine Rückwirkungsanordnung.
VG Sigmaringen: Veranlagung verstößt gegen Grundsatz von Treu und Glauben
Das Verwaltungsgericht Sigmaringen hob den Bescheid der Stadt und den Widerspruchsbescheid des Landratsamts Ravensburg auf. Die Veranlagung sei rechtswidrig, weil sie gegen den Grundsatz von Treu und Glauben in Form der unzulässigen Rechtsausübung verstoße. Die abstrakte Beitragsschuld sei am Anfang 2012 entstanden, weil erst zu diesem Zeitpunkt die dafür erforderliche satzungsrechtliche Grundlage in der WVS in Kraft getreten sei.
Die Beitragserhebung der Beklagten sei als treuwidrig anzusehen, weil es trotz erstmaliger Rüge der Fehlerhaftigkeit und damit Nichtigkeit der Wasserversorgungssatzung 1982 im Jahr 1989 nahezu 23 Jahre bis zum Inkrafttreten einer neuen Wasserversorgungssatzung gedauert habe. Zudem liege zwischen dem Entstehen der Vorteilslage bis zur Bekanntgabe des Wasserversorgungsbescheids am 23.11.2016 ein Zeitraum von mindestens zwanzig Jahren, so das Verwaltungsgericht.
VGH bestätigt Entscheidung des Verwaltungsgerichts
Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hat die Entscheidung des Verwaltungsgerichts bestätigt. Der Bescheid der Stadt und der Widerspruchsbescheid des Landratsamtes Ravensburg sind rechtswidrig, heißt es in dem Urteil. Die Erhebung des Wasserversorgungsbeitrags sei nach der Neuregelung im § 20 Abs. 5 Satz 1 KAG ausgeschlossen. Nach dieser Vorschrift ist die Festsetzung eines Beitrags oder einer sonstigen Abgabe zum Vorteilsausgleich ohne Rücksicht auf die Entstehung der Beitragsschuld spätestens zwanzig Jahre nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Vorteilslage eintrat, nicht mehr zulässig, stellt der VGH fest.
Neuregelung ist in dem Streitfall zu berücksichtigen
Die erst nach dem Ergehen des verwaltungsgerichtlichen Urteils in Kraft getretene Neuregelung ist dem Urteil zufolge in dem Streitfall zu berücksichtigen. Die zwanzigjährige Ausschlussfrist des § 20 Abs. 5 Satz 1 KAG beginne mit jedem Eintritt der Vorteilslage zu laufen, auch in Fällen, in denen - wie hier - diese lange vor dem Inkrafttreten des Paragraphen eingetreten war.
Dessen Anwendbarkeit ergebe sich aus allgemeinen prozessrechtlichen Grundsätzen und dem Wortlaut sowie Sinn und Zweck der gesetzlichen Neuregelung. Dem stehe nicht entgegen, dass der Gesetzgeber im § 49 KAG zu den Übergangsvorschriften nicht ausdrücklich geregelt habe, dass die Höchstfrist in § 20 Abs. 5 Satz 1 KAG auch für Abgabenbescheide gilt, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes noch nicht bestandskräftig waren. Auch das Rückwirkungsverbot stehe der Anwendung von § 20 Abs. 5 Satz 1 KAG in Fällen, in denen die Vorteilslage lange vor dem Inkrafttreten der Neuregelung eingetreten war, nicht entgegen.
Ausschlussfrist kommt Anforderungen des BVerfG nach
Wie der VGH betont, sollten mit der Einfügung der zwanzigjährigen Ausschlussfrist den Anforderungen der Rechtsprechung nachgekommen werden, wie sie das Bundesverfassungsgericht im Beschluss vom 05.03.2013 zur verfassungsrechtlichen Gebots der zeitlichen Begrenzung einer Erhebung kommunaler Abgaben formuliert hatte. Dabei hatte das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass eine zeitliche Obergrenze festgesetzt werden muss, nach der keine Beiträge mehr erhoben werden können (Aktenzeichen: 1 BvR 2457/08 vom 05.03.2013). Dieses Gebot schütze davor, dass lange zurückliegende, in tatsächlicher Hinsicht abgeschlossene Vorgänge unbegrenzt zur Anknüpfung neuer Lasten herangezogen werden könnten.
Auch bei Anschlussbeitrag Verjährungsregelungen zu treffen
Auch für die Erhebung von Beiträgen, die einen einmaligen Ausgleich für die Erlangung eines Vorteils durch Anschluss an eine Einrichtung schaffen sollen, ist der Gesetzgeber dem VGH zufolge verpflichtet, Verjährungsregelungen zu treffen oder jedenfalls im Ergebnis sicherzustellen, dass diese nicht unbegrenzt nach Erlangung des Vorteils festgesetzt werden können. Die Legitimation von Beiträgen liege - unabhängig von der gesetzlichen Ausgestaltung ihres Wirksamwerdens - in der Abgeltung eines Vorteils, der den Betreffenden zu einem bestimmten Zeitpunkt zugekommen ist. Je weiter dieser Zeitpunkt bei der Beitragserhebung zurückliege, desto mehr verflüchtige sich die Legitimation zur Erhebung solcher Beiträge, heißt es in dem Urteil.
Gesetzgeber muss Interessen zu angemessenem Ausgleich bringen
Es sei Aufgabe des Gesetzgebers, die berechtigten Interessen der Allgemeinheit am Vorteilsausgleich und der Einzelnen an Rechtssicherheit durch entsprechende Gestaltung von Verjährungsbestimmungen zu einem angemessenen Ausgleich zu bringen. Dabei steht ihm ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Der Grundsatz der Rechtssicherheit verbietet es dem Gesetzgeber aber, die berechtigten Interessen des Bürgers völlig unberücksichtigt zu lassen und ganz von einer Regelung abzusehen, die der Erhebung der Abgabe eine bestimmte auf den Eintritt der Vorteilslage bezogene zeitliche Grenze setzt, stellt der VGH fest.