Dabei handele es sich um die gezielte Zugabe von harmlosen Mikroorganismen, um die mikrobielle Zusammensetzung des Systems zu verändern und das Wachstum von Krankheitserregern zu hemmen.
Schweizweit nehmen Infektionen mit Bakterien der Gattung Legionella zu. Legionellosen seien zwar immer noch selten, so das Institut. Allerdings habe sich die Zahl der Fälle in den letzten zehn Jahren auf etwa 600 jährliche Infektionen verdoppelt. „Dieser Anstieg gibt Anlass zur Sorge“, sagte Alessio Cavallaro, Doktorand in der Gruppe Trinkwassermikrobiologie, die von Frederik Hammes geleitet wird.
„Im Trinkwasser lebt eine Gemeinschaft von Organismen, die ziemlich artenreich ist“, sagte Cavallaro. Diese lebendige Vielfalt besiedelt die Leitungsrohre und bildet Biofilme an deren Wänden, erklärte die Eawag. Dabei seien die ökologischen Wechselwirkungen zwischen den Kleinstlebewesen fast so vielfältig wie die Artenzusammensetzung im Biofilm. Legionellen seien keine Verunreinigung von außerhalb des Systems, sondern Teil des natürlichen Mikrobioms in den Wasserleitungen, sagte Hammes.
Zweiphasiger Lebenszyklus von Legionellen
Der Lebenszyklus von Legionellen lässt sich in zwei Phasen unterteilen, führte das Institut weiter aus. Im Verbund mit anderen Bakterien beteiligen sich die Legionellen am Aufbau des Biofilms, wo sie hauptsächlich die Zeit überdauern, bis sie von einer Amöbe oder einem anderen Einzeller aufgenommen werden. Dank eines Tricks, dessen molekulare Details inzwischen bekannt sind, enden einige Legionellen nicht als Futter, sondern richten sich in einem eigenen Abteil der Wirtszelle ein, wo schließlich die zweite Phase ihres Lebenszyklus beginnt.
Im Inneren ihrer Wirtszelle sind die Legionellen nicht nur vor Hitze und chemischen Giften geschützt, sondern finden auch alle organischen Substanzen vor, die sie zu ihrer Vermehrung brauchen, hieß es weiter. „Diesbezüglich sind Legionellen ziemlich wählerisch. Sie sind zum Beispiel auf viele Aminosäuren angewiesen, die sie nicht selbst herstellen können“, sagte Cavallaro. Die Vermehrungsphase endet, wenn die Wirtszelle platzt und die vielen neuen Legionellen wieder im Biofilm eine Nische finden müssen, so die Eawag.
In ihrem Beitrag berichten die Forschenden, wie sich dieser Lebenszyklus unterbrechen ließe. Wenn die Einzeller zum Beispiel schon mit anderen Bakterien infiziert seien, hätten es die Legionellen schwerer, sich im Zellinneren zu vermehren, weil sie die wertvollen Ressourcen der Wirtszelle mit den anderen Eindringlingen teilen müssten. Auch weitere Ansätze finden im Übersichtsartikel Erwähnung. So testet in Frankreich ein Unternehmen etwa spezielle Amöben, die offenbar nicht auf den Trick der Legionellen hereinfallen – und sie tatsächlich aufessen, statt sie sich in ihnen vermehren zu lassen. „Unabhängige wissenschaftliche Beweise für die Wirksamkeit dieses Ansatzes sind nach wie vor begrenzt“, gibt Cavallaro allerdings zu bedenken.
Bakterielles Gift als Waffe gegen Legionellen
In ihren eigenen Arbeiten stellen Cavallaro und Hammes vorerst einen anderen Aspekt des mikrobiologischen Wimmelbilds ins Zentrum, teilte die Eawag weiter mit. Die Fähigkeit vieler Bakterien, giftige Verbindungen – etwa Antibiotika – herzustellen, um das Wachstum ihrer Konkurrenten zu hemmen, spiele im Biofilm eine wichtige Rolle. Für ihre Untersuchungen hätten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im Labor von Legionellen besiedelte Kulturplatten mit verschiedenen Bakterien beimpft. Wo sich um den Tropfen mit der Zeit eine durchsichtige Zone bilde, sei es den anderen Mikroben gelungen, das Wachstum der Legionellen zu hemmen.
„Wir hoffen, aus solchen Erkenntnissen zu ökologischen Interaktionen Maßnahmen zur Wachstumskontrolle von Legionellen ableiten zu können“, sagte Hammes. Das sei jedoch noch Zukunftsmusik. Aktuell seien die probiotischen Strategien von einer konkreten Anwendung in Trinkwassersystemen noch weit entfernt. Die Ansätze, die sich auf den Bakterienkulturplatten als vielversprechend erweisen, müssten schrittweise zuerst in größeren Gefäßen und dann in Pilot-Trinkwassersystemen erprobt werden.
Trotzdem machen sich die Forschenden laut Eawag schon jetzt auch über die gesellschaftliche Wahrnehmung ihrer Arbeiten Gedanken. „Es braucht eine gute Kommunikation, die der Öffentlichkeit klarmacht, dass es in der Trinkwasserversorgung nicht darum geht, die Systeme von Bakterien zu befreien, denn das ist unmöglich“, sagte Hammes. „Die Absicht von probiotischen Ansätzen besteht vielmehr darin, die Beschaffenheit der Bakteriengemeinschaften gezielt zu verändern“, stellte er klar.