Die Liefersperre sei kein außerordentliches Mittel der Zwangsvollstreckung für Forderungen aller Art, stellt das Gericht fest. Vielmehr werde nur ein Zurückbehaltungsrecht bezogen auf die im gegenseitigen Verhältnis stehenden Pflichten der Beteiligten des Wasserversorgungsverhältnisses ausgeübt, heißt es in dem Urteil. Vor einer rechtmäßigen Versorgungseinstellung habe der Trinkwasserversorger nach pflichtgemäßem Ermessen darüber zu entscheiden, ob die offenen trinkwasserbezogenen Forderungen überhaupt ausreichen, um eine Versorgungseinstellung als verhältnismäßig erscheinen zu lassen.
Bei einer danach gerechtfertigten Androhung der Versorgungseinstellung ist dem Bezugsberechtigten mitzuteilen, dass die Zahlung allein der trinkwasserbezogenen Forderungen ausreiche, um die Versorgungseinstellung abzuwenden.
Zweckverband droht mit Sperrung des Grundstücksanschlusses
Die Antragstellerin bewohnt zusammen mit ihrem Ehemann im Gemeindegebiet ein Hausgrundstück, das an die öffentlichen Einrichtungen der Trinkwasserversorgung und der dezentralen Schmutzwasserbeseitigung des Zweckverbands angeschlossen ist, der auf dem Gebiet der Gemeinde Träger der Aufgaben der Trinkwasserversorgung und der Schmutzwasserbeseitigung ist.
Für Schmutzwasserbeseitigung und Trinkwasserversorgung berechne der Zweckverband der Antragstellerin trotz deren Abschlagszahlungen seit einigen Jahren Zahlungsrückstände; in Widerspruchs- und Gerichtsverfahren stritten die Beteiligten vor allem um die Bestimmung zutreffender Trinkwasserverbrauchsmengen, die hierfür erforderlichen Zählerablesungen und die Richtigkeit vom Antragsgegner dazu unternommener Schätzungen, erläutert das Gericht.
Mit dem „Bescheid zur Androhung der Versorgungseinstellung“ aus dem Juni 2021 berechnete der Zweckverband der Antragstellerin Rückstände von insgesamt 4.726,23 Euro und forderte sie auf, diesen Betrag innerhalb von 24 Tagen zu entrichten. Sollte bis zum Fristablauf kein Zahlungseingang zu verbuchen sein, so werde am 3. August 2021 durch Sperrung des Grundstücksanschlusses die Trinkwasserversorgung eingestellt und frühestens am Folgetag nach Erfüllung aller Forderungen und Zahlung weiterer Verwaltungsgebühren wiederaufgenommen.
Den von der Antragstellerin am 25. Juni 2021 eingelegten Widerspruch wies der Zweckverband zurück. Mit Schreiben vom 28. Oktober 2021 forderte der Verband wegen der verstrichenen Frist die Antragstellerin zur Zahlung eines ausstehenden Gesamtbetrags von 5.680 Euro bis zum 29. November 2021 auf und kündigte für den Fall ausbleibender Zahlung die Einstellung der Trinkwasserversorgung am Folgetag an.
Über die folgende Anfechtungsklage der Antragstellerin ist dem VG Schwerin zufolge noch nicht entschieden. Der Antragsgegner ordnete die sofortige Vollziehung des Bescheids aus dem Juni 2021 an.
Verfügung des Zweckverbandes rechtswidrig
Der Eilantrag der Antragstellerin, der darauf abzielt, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid und die Anfechtungsklage aus dem November 2021 wiederherzustellen, hat Erfolg. Die Verfügung des Versorgers sei erkennbar rechtswidrig, stellt das Gericht in dem Urteil fest. Das Interesse eines Rechtsbehelfsführers bei einem absehbaren Erfolg seines Rechtsbehelfs sei grundsätzlich höher zu gewichten als das Interesse an der Durchsetzung einer solchen Verfügung.
Nach den Allgemeinen Bedingungen für die Versorgung mit Wasser (AVBWasserV) ist das Wasserversorgungsunternehmen bei Zuwiderhandlungen, insbesondere bei Nichterfüllung einer Zahlungsverpflichtung trotz Mahnung, berechtigt, die Versorgung zwei Wochen nach Androhung einzustellen, führt das Gericht aus. Das gelte nicht, wenn der Kunde darlegt, dass die Folgen der Einstellung außer Verhältnis zur Schwere der Zuwiderhandlung stehen und hinreichende Aussicht besteht, dass der Kunde seinen Verpflichtungen nachkommt. Danach stellt die Androhung eine Warnung an den Bezugsberechtigten dar sowie einen Anlass, binnen kurzer Frist gegenüber dem Wasserversorger seine Schulden zu begleichen oder darzustellen, dass die Einstellung der Wasserbelieferung mit ihren einschneidenden Folgen zu Ausmaß und voraussichtlicher Dauer der Leistungsstörung außer Verhältnis stehe.
Voraussetzungen für Sperrung der Trinkwasserversorgung nicht gegeben
Das Gericht ordnet an, dass die angedrohte Versorgungseinstellung einstweilen zu unterbleiben hat, da die Voraussetzungen für eine Sperrung der Trinkwasserversorgung des Grundstücks nicht gegeben seien. Die Regelung in § 33 Abs. 2 AVBWasserV (siehe Kasten) begründe, wie sich schon aus ihrem Wortlaut „berechtigt“ ergebe, auch bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen keine Verpflichtung des Wasserversorgers zur Einstellung der Wasserversorgung, sondern stelle diese in dessen Ermessen. Vorliegend sei weder zu erkennen, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen, d.h. die vom Antragsgegner behauptete Nichterfüllung einer Zahlungsverpflichtung trotz Mahnung, vorlägen, noch dass der Zweckverband sein Ermessen rechtmäßig ausgeübt habe.
Zahlungsrückstand stammt aus Abwasserentsorgung
Die gerichtliche Prüfung habe in dem Fall ergeben, dass „mit weit überwiegender Wahrscheinlichkeit“ der Zahlungsrückstand der Antragstellerin aus der gebührenpflichtigen dezentralen Abwasserentsorgung stammt, heißt es in dem Urteil. Die zu den Verwaltungsvorgängen genommenen Aufstellungen über die Gesamtforderungen des Zweckverbands differenzierten nicht zwischen der Trinkwasserversorgung und der Abwasserbeseitigung. So beziffere ein Gebührenbescheid für das gesamte Jahr 2020 Trinkwasserkosten von 322 Euro sowie bezahlte Abschläge hierfür in Höhe von 41 Euro; ebenfalls aber führe er aber Kosten für Schmutzwasser in Höhe von 2.562 Euro auf. Es liege nahe, dass der aufgeführte Betrag, auch was die Nebenforderungen zu früheren Forderungen betrifft, zum weit überwiegenden Teil aus dem Bereich der Abwasserbeseitigung herrührt, stellt das Gericht fest. Die offenen Beträge für die Trinkwasserversorgung seien zusammen niedriger als die unstreitigen Zahlungen für die Antragstellerin im laufenden Jahr von 500 Euro und 750 Euro.
Frage, ob Versorgungseinstellung verhältnismäßig ist, wäre zu klären gewesen
Aber auch wenn es sich anders verhielte, wäre das Vorgehen des Zweckverbandes dem Gericht zufolge ermessensfehlerhaft und rechtswidrig. Denn vor einer rechtmäßigen Versorgungseinstellung hätte der Zweckverband der Antragstellerin mitzuteilen müssen, dass jedenfalls die Zahlung allein der trinkwasserbezogenen Forderungen ausreiche, um die Versorgungseinstellung abzuwenden. Zuvor hätte er darüber zu entscheiden gehabt, ob die offenen trinkwasserbezogenen Forderungen überhaupt ausreichen, um eine Versorgungseinstellung als verhältnismäßig erscheinen zu lassen, wobei die häusliche Situation der Antragstellerin und deren teilweise erfolgte Zahlungen sowie Zahlungsmoral zu berücksichtigen gewesen wären. Das sei nicht geschehen. Schließlich wäre zusätzlich zu prüfen, inwieweit nicht trotz der Versorgungseinstellung aus Gründen der Verhältnismäßigkeit eine Notversorgung des Anwesens der Antragstellerin und ihres Ehemanns geboten erschiene, heißt es in dem Urteil.
Den Streitwert hat das Gericht auf 5.680 Euro festgesetzt.