EU-Kommission will Einsatz chemischer Pflanzenschutzmittel bis 2030 halbieren


Die beiden Entwürfe sind die wichtigsten Legislativ-Vorschläge zur Umsetzung der Biodiversitätsstrategie und der Strategie „Vom Hof auf den Tisch“ und werden nun vom Europäischen Parlament und vom Rat gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren geprüft.


Der Vorschlag für eine Verordnung zur Wiederherstellung der Natur sei ein wichtiger Schritt, um den Kollaps von Ökosystemen zu verhindern und den schlimmsten Auswirkungen des Klimawandels und des Biodiversitätsverlusts vorzubeugen, teilte die Kommission in Brüssel mit. Die Wiederherstellung von Feuchtgebieten, Flüssen, Wäldern, Grasland, Meeresökosystemen und städtischen Gebieten in der EU und der darin vorkommenden Arten sei eine grundlegende, kostenwirksame Investition in die Ernährungssicherheit, die Widerstandsfähigkeit gegen den Klimawandel, die Gesundheit und das Wohlbefinden.


Desgleichen würden die neuen Vorschriften für chemische Pestizide den ökologischen Fußabdruck des Lebensmittelsystems der EU verringern, die Gesundheit und das Wohlbefinden von Bürgerinnen und Bürgern und Beschäftigten in der Landwirtschaft schützen und dazu beitragen, die wirtschaftlichen Verluste zu mindern, die aufgrund der sich verschlechternden Bodengesundheit und des durch Pestizide verursachten Rückgangs an Bestäubern bereits hinzunehmen seien.


In der Verordnung zur Wiederherstellung der Natur werden Zielvorgaben und Verpflichtungen für die Wiederherstellung verschiedenster Ökosysteme an Land und im Meer festgelegt, teilte die Kommission weiter mit. Dabei würden die Ökosysteme mit dem größten Potenzial für den Abbau und die Speicherung von CO2 und die Prävention oder Verringerung der Auswirkungen von Naturkatastrophen wie Überschwemmungen zu den obersten Prioritäten gehören. Die Verordnung baue auf bestehenden Rechtsvorschriften auf, beschränke sich aber nicht auf die Schutzgebiete der Habitat-Richtlinie und von Natura 2000.


Stattdessen soll die Verordnung alle natürlichen und naturnahen Ökosysteme in der EU bis 2030 auf den Weg der Erholung bringen. Dafür sollen umfangreiche EU-Mittel bereitgestellt werden. Aus dem aktuellen mehrjährigen Finanzrahmen würden rund 100 Mrd. Euro für die Förderung von biologischer Vielfalt und Wiederherstellung zweckgebunden, so die Kommission. Zu den vorgeschlagenen Zielen gehören unter anderem die Entfernung von Hindernissen in Flüssen, damit mindestens 25.000 Flusskilometer bis 2030 in frei fließende Flüsse umgewandelt werden, sowie die Wiederherstellung und Wiedervernässung von landwirtschaftlich genutzten entwässerten Torfmooren und Torfabbaugebieten.


Richtlinie über die nachhaltige Verwendung von Pestiziden nicht streng genug


Zu den strengeren Vorschriften zur Verringerung des Einsatzes chemischer Pestizide und zur Gewährleistung nachhaltigerer Lebensmittelsysteme bis 2030 erklärte die Kommission, dass die geltenden Vorschriften der Richtlinie über die nachhaltige Verwendung von Pestiziden nicht ausreichend seien und nicht überall in gleichem Maße umgesetzt würden. Auch beim integrierten Pflanzenschutz (IPM) und mit anderen alternativen Konzepten seien keine hinreichenden Fortschritte erzielt worden. Chemische Pestizide schädigen die menschliche Gesundheit und sind Ursache für den Rückgang der biologischen Vielfalt auf landwirtschaftlichen Flächen, betonte die Kommission. Sie kontaminieren die Luft, das Wasser und die Umwelt im weiteren Sinne.


Die Kommission schlägt daher rechtsverbindliche Ziele auf EU- und nationaler Ebene zur Verringerung der Verwendung und des Risikos chemischer Pestizide und der Verwendung der gefährlicheren Pestizide um 50 Prozent bis 2030 vor. Die Mitgliedstaaten sollen dabei ihre eigenen nationalen Reduktionsziele innerhalb vorgegebener Parameter festlegen, um sicherzustellen, dass die EU-weiten Ziele erreicht werden. Mit neuen Maßnahmen soll zudem sichergestellt werden, dass alle Landwirte und anderen beruflichen Verwender von Pestiziden die Grundsätze des integrierten Pflanzenschutzes (IPM) einhalten, wonach zunächst auf alternative umweltfreundliche Methoden zur Schädlingsprävention und -bekämpfung zurückgegriffen werden muss und chemische Pestizide nur als letztes Mittel eingesetzt werden dürfen.


In empfindlichen Gebieten sollen laut Kommission alle Pestizide verboten werden. Dazu gehören etwa städtische Grünflächen, einschließlich öffentlicher Parks und Gärten, Spielplätze, Schulen, Freizeit- und Sportplätze, öffentliche Wege und Natura-2000-Schutzgebiete sowie alle ökologisch empfindlichen Gebiete, die für bedrohte Bestäuber erhalten werden müssen.


Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) begrüßte die Vorschläge der EU-Kommission. „Trockenheit, Waldbrände, Überschwemmungen und der Verlust von Bestäubern zeigen: Es reicht längst nicht aus, einzelne Arten zu schützen. Wir müssen ganze Ökosysteme renaturieren, denn aktuell sind Moore, Wälder, Flüsse und Meere vielerorts in einem schlechten Zustand“, sagte sie. Eine gesunde und vielfältige Natur helfe gleichzeitig im Kampf gegen die Klimakrise und ihre Folgen und gegen das Artenaussterben. „Mit den ehrgeizigen Zielen der EU-Biodiversitätsstrategie kann die EU zum Vorreiter werden“, betonte Lemke.


EurEau: Kommission unterstützt Schutz der Wasserressourcen


Auch der europäische Wasserverband EurEau äußerte sich positiv zum Legislativvorschlag. „Der heutige Schritt signalisiert die klare Unterstützung der Kommission für den Schutz der Wasserressourcen und stellt den Schutz der Nutzer von Trinkwasser in den Vordergrund, indem sichergestellt wird, dass Wasserdienstleistungen dank der Einführung verbindlicher Ziele für 2030 sowohl auf EU- als auch auf nationaler Ebene sicher und erschwinglich bleiben“, sagte EurEau-Präsidentin Claudia Castell-Exner. „Wir sind sehr erfreut darüber, dass die Kommission strenge Verpflichtungen für den Schutz von Wasserressourcen vorgeschlagen hat, die für die Trinkwassergewinnung genutzt werden, da sie unter die Definition ‚empfindlicher Gebiete‘ fallen, in denen die Verwendung aller Pflanzenschutzmittel gemäß dem Vorschlag verboten ist.“


Die Landwirtschaft gilt laut EurEau als der größte Verursacher von Pestiziden in Oberflächengewässern und im Grundwasser durch Ausbringung, Abfluss oder unsachgemäße Entsorgung. Der Verband weist darauf hin, dass sich Pestizide negativ auf die Qualität der Trinkwasserressourcen auswirken. Wasserwerksbetreiber müssten zunehmend auf teure und energieintensive Zusatzbehandlungen zurückgreifen, während die Verbraucher die Kosten trügen.


EurEau fordert das Europäische Parlament und den Rat der EU auf, den Wandel anzunehmen und ein europäisches Lebensmittelsystem zu unterstützen, das die Wasserressourcen schützt. „Wir werden mit den Institutionen zusammenarbeiten, um den aktuellen Vorschlag zu verbessern, z. B. durch die Bereitstellung relevanterer und detaillierterer Informationen über den Einsatz von Pestiziden, die den zuständigen Behörden und Wasserdienstleistern zur Verfügung stehen und zugänglich sind, damit die neue Trinkwasserrichtlinie korrekt umgesetzt werden kann und die Gesundheit der Trinkwasserverbraucher geschützt wird“, kündigte der Verband an.


Specht: „Je konkreter, desto besser“


Der Vizepräsident Wasser des Verbandes kommunaler Unternehmen (VKU), Karsten Specht, erklärte, je konkreter und verbindlicher die Maßnahmen der EU-Kommission seien, desto besser seien sie für den Schutz der Gewässer und die Trinkwasserversorgung. „Nur wenn Maßnahmen verbindlich ausgestaltet werden, können die europäischen Reduktionsziele auch erreicht werden. Andernfalls bliebe es bei einem zahnlosen Tiger“, sagte Specht.


Das gelte auch für die nationalstaatlichen Reduktionsziele: Die Mitgliedstaaten müssten zu konkreten und verbindlichen Maßnahmen verpflichtet werden, forderte Specht. „Für Deutschland heißt das: Der Nationale Aktionsplan Pflanzenschutzmittel muss mehr sein als eine Absichtserklärung.“ Seit Jahren würden die Ziele weitgehend verfehlt. „Wir können sie nur dann erreichen, wenn es konkrete rechtliche Vorgaben zur Anwendung von Pflanzenschutzmitteln gibt.“


Aus Sicht des VKU muss die Anwendung von chemischen Pflanzenschutzmitteln auch in Trinkwassereinzugsgebieten grundsätzlich verboten werden - nicht nur in sensiblen Gebieten wie städtischen Grünflächen und Naturschutzgebieten, so Specht. Die Grundwasserressourcen seien für die Trinkwasserversorgung essenziell.


„Die teilweise in einigen Regionen zunehmenden Einträge von Pflanzenschutzmitteln und ihren Abbauprodukten bereiten der deutschen Wasserwirtschaft große Sorgen“, machte Specht deutlich. Deswegen sollte der Schutz der Trinkwasserressourcen in der neuen Verordnung noch stärker in den Blick genommen werden. Die vorgeschlagenen spezifischen Maßnahmen zum Schutz der Gewässer seien eine gute Basis, auf der aufgebaut werden müsse. „Übermäßig aufgebrachte Dünge- und Pflanzenschutzmittel gefährden die Qualität der Trinkwasserressourcen – und damit die Trinkwasserversorgung unserer Bevölkerung, Industrie, Gewerbe und Landwirtschaft“, sagte Specht.