Sturzfluten-Studie sieht große Defizite beim effektiven Schutz vor Unwetter-Katastrophen


Der Studie zufolge hat Deutschland beim effektiven Schutz vor Unwetter-Katastrophen erhebliche Defizite. Bundesweit seien die Versäumnisse bei der Prävention massiv. So erforderten extreme Regenereignisse noch mehr Aufmerksamkeit. Bund und Länder seien hier in der Pflicht, vor allem aber auch die Kommunen. Die Ampel-Koalition in Berlin sei am Zug, die im Koalitionsvertrag zugesagten bundeseinheitlichen Standards für Hochwasser und Starkregenüberflutungen in die Tat umsetzen. Der rechtliche Rahmen für das Hochwassermanagement in Deutschland muss laut der Studie um systematische Analysen zu den Gefahren aus lokalen Starkregenereignissen ergänzt werden. Das Wasserhaushaltsgesetz (WHG) hebt in § 72 und § 74 nur ab auf Gefahren aus Hochwassersituationen aus Gewässern. Dazu bedürfe es einheitlicher Standards für ein kommunales Starkregenrisikomanagement. Dies umfasse die Bewertung der Gefahren und Risiken urbaner Überflutungen, die Erstellung und Veröffentlichung von Starkregen-Gefahrenkarten sowie eine transparente Risikokommunikation.


Auch das Baurecht müsse Starkregen- und Hochwasser-konform angepasst werden. Überflutungsgefahren aus Hochwasser und Starkregen müssten in der Bauleitplanung über die Baugesetzgebung beim Bund verankert werden und es sei vorzugeben, wie damit umzugehen ist. Damit soll erreicht werden, dass eine gesicherte Bewirtschaftung von Niederschlagswasser unter Einbeziehung von Starkregenereignissen und des wild abfließenden Wassers aus Außengebieten (§ 37WHG) gewährleistet ist.


Warnkarten als Basis für ein
effektives Starkregen-Management


Prof. Theo Schmitt von der TU Kaiserslautern fordert, dass Städte und Gemeinden zu einem Starkregen-Risikomanagement verpflichtet werden. Die Kommunen müssten künftig Gefahren- und Risikokarten erstellen. „Solche Warnkarten entstehen aus einer Fülle von Daten: Die Topografie mit lokalen Grünflächen und dem Gefälle ist dabei wichtig. Ebenso natürlich die Meteorologie. Und es kommt entscheidend auch auf die Kapazität von Kanalsystemen an. Was wir dringend brauchen, ist eine systematische Analyse der örtlichen Gefahrenlage - eine ,Übersetzung' von Regenmengen in die konkrete lokale Gefahr einer Überflutung“, sagt er.


„Auf Risikokarten muss Straße für Straße - bis aufs einzelne Haus genau - die Überflutungsgefahr eingetragen werden. Es geht darum, mit der Starkregen-Risikokarte die Wirkung von Sturzfluten digital zu simulieren“, erklärt Prof. Wolfgang Günthert, der an der Universität der Bundeswehr in München zu Sturzfluten geforscht hat. Warnkarten seien die Basis für ein effektives Starkregenwasser-Management, das bundesweit dringend notwendig sei. Städte könnten so wassersensibel entwickelt werden. Dazu gehöre insbesondere das Transportieren, Reinigen, Speichern und Ableiten von Regenwasser. Die „Entwässerung der Zukunft“ für Wohnsiedlungen und Verkehrswege müsse Engpässe im Kanalnetz vermeiden. Sie schütze damit wesentlich besser vor Überflutungen.


Aber auch Hausbesitzer würden von Starkregen-Risikokarten profitieren. Sie könnten damit ganz individuell mehr Vorsorge und so Gebäudeschutz betreiben - von der Dachbegrünung (zur Zurückhaltung und Verdunstung von Wasser) über Regenbecken und oberirdische Sammelflächen bis zur geschützten Bauvariante für Kellereingänge, Lichtschächte und Tiefgarageneinfahrten. Es komme darauf an, gezielt die Schwachstellen beim Haus zu ermitteln und diese umzubauen. Das biete sich nicht nur für bekannte und akute Starkregen-Hotspots an.


Funktionierende
Risikokommunikation benötigt


Auch ein bundesweit funktionierendes Frühwarn- und Informationssystem sei notwendig: „Was wir brauchen, ist eine funktionierende ,Risikokommunikation'. Es bringt nichts, viele Menschen weiter im Ungewissen zu lassen. Dafür ist die Gefahr, die vom Starkregen ausgeht, viel zu hoch. Deutschland muss sich auf das, was noch kommt, möglichst effektiv vorbereiten. Und dabei gilt es, keine Zeit zu verlieren“, warnt Schmitt.


Als übergeordnetes Ziel des zukünftigen (kommunalen) Handelns benennt die Studie die Verbesserung der Resilienz von Siedlungen gegenüber Starkregenüberflutungen. Viele der Maßnahmen ließen sich in den Kontext einer wasserbewussten Siedlungsentwicklung und -gestaltung einordnen, die vielfältige Synergieeffekte für die Überflutungsvorsorge verspricht.


Dazu gehörten klare Regelungen für die Veröffentlichung von Starkregengefahrenkarten, die Klärung von Zuständigkeits- und Finanzierungsfragen für die konkreten Aufgaben im Starkregenrisikomanagement, die Stärkung des Verständnisses für „Starkregen als Naturereignis“. Von zentraler Bedeutung erscheine die Weiterentwicklung methodischer Ansätze der Gefährdungs- und Risikobewertung und die engere Verzahnung mit den Arbeitsschritten des Hochwasserrisikomanagements. Das gelte in besonderem Maße für die Einbeziehung kleiner Gewässer innerhalb urbaner Gebiete. Diese Aufgaben seien zu ergänzen mit gezielten Maßnahmen zur Stärkung der Eigenverantwortung und -vorsorge sowie mit der Entwicklung von Angeboten zur fachlichen Beratung betroffener Grundstückseigentümer bei der Bewertung von Überflutungsgefahren und der Umsetzung von Maßnahmen des lokalen Objektschutzes.


Zukunftsaufgabe „wasserbewusste Gestaltung von Siedlungen“


Maßnahmen im Kontext wasserbewusster Siedlungsentwicklung sind laut der Studie neben der Zukunftsaufgabe „wasserbewusste Gestaltung von Siedlungen“ und einer überflutungsbewussten Bauleitplanung auch Vorkehrungen zum Schutz gegen Außengebietszuflüsse und als bauliche Maßnahmen im öffentlichen Raum  der Einsatz von öffentlichen Straßen und Plätzen als temporäre Speicher und Notwasserwege sowie eine klimaangepasste Straßenraumgestaltung (Blue Green Streets) und eine multifunktionale Freiraumnutzung, die den Überlegungen zur Kombination der Hauptnutzung einer Fläche mit einer temporären Funktion und Aufgabe im Rahmen des Starkregenrisikomanagements folgt.


Die multifunktionale Freiraumnutzung habe sich zwischenzeitlich zu einer zentralen Säule einer zukunftsgerechten, wasserbewussten und überflutungsresilienten Siedlungsgestaltung entwickelt. Sie entfalte ihre Wirkung durch Bündelung einer möglichst großen Anzahl kleinräumiger, lokaler Einzelmaßnahmen. Weitere Maßnahmen seien die Verbesserung der Funktionalität von Straßenabläufen, eine verbesserte Grundstücksentwässerung sowie die Verpflichtung zum Rückhalt von Niederschlagswasser auf Grundstücken.